Alexander Bilgeri verantwortet bei der BMW Group seit Oktober 2022 den Bereich Kommunikation Personal, Produktion, Einkauf, Nachhaltigkeit. Er kritisiert eine mediale Verkürzung der Nachhaltigkeitsdebatte in Deutschland auf CO2-Emissionen und grüne Labels. Wie glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation aus Sicht von BMW funktioniert, erklärt er im Interview.

Alexander Bilgeri (links) im Interview mit Konrad Rommerskirchen. (Foto: prmagazin/Jörg Heupel)
prmagazin: Herr Bilgeri, Sie haben für den internen Gebrauch elf Thesen für eine glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation aufgeschrieben. Was ist der Hintergrund?
Alexander Bilgeri: Vor dem Hintergrund der Bestrebungen der Europäischen Union – Stichwort Green Claims – wird es noch viel wichtiger werden darzustellen, was man in der eigenen Wertschöpfung verbessern kann. Die große Herausforderung für uns Kommunikatoren wird sein, dass wir Begrifflichkeiten wie „nachhaltig“, „grün“, „umweltfreundlich“ und so weiter gar nicht mehr benutzen sollten. Unsere Position bei der BMW Group ist: Glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation funktioniert nur entlang der Wertschöpfungskette. Alles andere sind Ausweichbewegungen, die mit dem eigentlichen Wertschöpfungsprozess nichts zu tun haben.
Was wären solche „Ausweichbewegungen“?
Wenn man beispielsweise dafür sorgt, dass der Produktionsprozess weniger Wasser braucht, dann ist das nachhaltig. Wenn man Arbeitszeitmodelle implementiert, die Menschen die Chance geben, in Teilzeit zu arbeiten, dann ist das auch nachhaltig. Wenn man hingegen sagt, dass man für jedes verkaufte Fahrzeug einen Baum pflanzt, dann ist das eine Ausweichbewegung, weil es nichts mit den Geschäftsprozessen zu tun hat.
Was wollen Sie mit Ihren Thesen erreichen?
Die Thesen dienen als Denkanstoß, als Ausrichtung, wie wir Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitskommunikation verstehen. Unsere Welt ist kritischer, vernetzter und politischer als je zuvor. Unternehmen und Marken müssen sich in diesem Spannungsfeld glaubwürdig positionieren. Rezipienten haben sich verändert. Wir bedienen nicht mehr ausschließlich Journalisten, sondern auch die interessierte Öffentlichkeit. Es gab bei der Bild-Zeitung früher den Leser-Reporter. Heute haben wir da draußen nur noch Leser-Reporter, wir haben eine redaktionelle Gesellschaft. Und das heißt: Jeder im Unternehmen muss sich bewusst machen, dass mit dem, was er beziehungsweise sie tut oder sagt, ganz schnell Öffentlichkeit hergestellt werden kann. Das ist eine Chance, aber es ist auch ein Risiko.
Was heißt das für die Nachhaltigkeitskommunikation?
Als Unternehmen müssen wir uns fragen: Wie schützen wir uns? Indem wir eben nicht auf Zertifikate und nicht auf die Ausweichbewegungen setzen, sondern uns mit dem beschäftigen, was uns betrifft, also unseren Prozessen. Wie kann man das Auto sauberer produzieren? Wie kann man sicherstellen, dass die Dinge, die eingekauft werden, sozial und ökologisch verträglich eingekauft werden? Und falls man manche Rohstoffe nur in Regionen einkaufen kann, in denen prekäre Verhältnisse herrschen, weil es sie anderswo auf der Welt nicht gibt: Welchen Beitrag kann das Unternehmen leisten, diese Verhältnisse zu verbessern? Ein Unternehmen wie die BMW Group muss auch eine Leadership-Rolle gegenüber Lieferanten, Kunden und Öffentlichkeit übernehmen und sagen: Diese Mindeststandards sind uns wichtig. Wir glauben, dass wir so einen Beitrag zur Lösung der Probleme und Herausforderungen dieser Welt leisten können.
Darf man noch rein grüne Kommunikation machen?
Darf man, aber man muss sehr korrekt sein. Ein Beispiel: Wenn ein Produktionsstandort der BMW Group dank neuer Technologien eine höhere Energieeffizienz erreicht – dann ist das zunächst eine positive Botschaft. Aber ist der Standort dadurch „umweltfreundlich“? Korrekt ist zu sagen: Er ist „weniger umweltschädlich“. Oder: Die Kollegen in den USA haben anlässlich der verheerenden Waldbrände dort jetzt ein Aufforstungsprojekt unterstützt – was gut ist im Sinne von „Community-Building“. Es ist aber nicht „nachhaltig“ oder „grün“ im eigentlichen Sinn, da es nichts mit unserer Wertschöpfung zu tun hat.
Inwiefern verkompliziert das die BMW-Kommunikation?
Gerade für Kollegen im Marketing oder Recruiting ist das in dieser Deutlichkeit neu. Die Themen sind an und für sich sehr gut geeignet zur Differenzierung. Aber da draußen steht eine Armada von NGOs, Rechtsanwälten etc., die Unternehmen künftig für unbelegbare Äußerungen verklagen werden. In einigen europäischen Ländern – Dänemark zum Beispiel – läuft das schon so, da schaut der Ombudsmann sehr genau darauf, was kommuniziert wird. Jede einfache Botschaft muss so abgesichert und mit Daten hinterlegt sein, dass sie einer Prüfung standhält.
Wie war das früher?
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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der prmagazin-Printausgabe September 2023.