Wenige Wochen vor der Bundestagswahl steht die Zivilgesellschaft einer etablierten rechten Partei gegenüber, „Querdenker“ ziehen durch die Straßen, hinzu kommt eine aufgeheizte Debatte von Klimaschutz bis Diversity. Zu schweigen wird für Unternehmen immer problematischer – doch auch das Risiko steigt.

Woke zu sein ist en vogue. Der Begriff ist in den USA seit der Bürgerrechtsbewegung Mitte des 20. Jahrhunderts in Umlauf. Er bedeutet : Man ist „erwacht“, also sensibilisiert für soziale Ungerechtigkeiten. Aktuell taucht das Wort in jeder gesellschaftspolitischen Debatte auf.
Auch viele Unternehmen möchten als progressiv gesehen werden: eben woke.
Doch die perfekte Dosis politischen Engagements zu finden, ist heikel: Wofür und in welchem Maß setzen wir uns ein? Wie explizit politisch äußern wir uns? Mit welchen Maßnahmen unterfüttern wir unsere Haltung? Diese Abwägungen sind ein Balanceakt – um den Unternehmen nicht mehr herumkommen.
Am 26. September findet die Bundestagswahl statt, die Ära Merkel endet. Und das in einer Zeit, in der es ohnehin wenig politische Stabilität zu geben scheint. Die Coronakrise hat offen verfassungsfeindliche Bewegungen entstehen lassen, „Querdenker“ ziehen zu Zehntausenden durch deutsche Innenstädte. Die AfD, bei der vergangenen Wahl erstmals in den Bundestag eingezogen, hat sich als größte Oppositionspartei und in diversen Landtagen etabliert. Und die Nachwirkungen von Protesten zu Themen wie Klimaschutz, Diversity und Rassismus lassen die Meinungen auf der Straße wie in sozialen Netzwerken heftig aufeinanderprallen.
Angesichts dieser Gemengelage ist Michael Sasse überzeugt: „Wir dürfen als Wirtschaftsunternehmen nicht neutral sein.“ Der Kommunikationschef des hessischen Gas- und Ölproduzenten Wintershall Dea findet es weder akzeptabel noch zeitgemäß, wenn sich Konzerne oder Mittelständler zu politischen Themen bedeckt halten.
Das Kasseler Unternehmen kann man als einen Vorreiter der „woken“ Corporate-Kommunikation bezeichnen. Unter dem Eindruck rechtsextremer Ausschreitungen im sächsischen Chemnitz hat Wintershall Dea im Jahr 2018 eine prodemokratische, antirassistische Initiative aus der Taufe gehoben. Es war ein Sonntagnachmittag, erinnert sich Sasse, als der Vorstandsvorsitzende Mario Mehren ihn anrief: „Michael, wir müssen da was machen. Wir brauchen ein sichtbares Zeichen gegen Rechts.“ So entstand die Idee für die Initiative „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“ – symbolisiert durch ein Tür-Wendeschild (siehe Aufmacherfoto).
Heute hält Sasse klare Kante in der Kommunikation mehr denn je für geboten. „Aktuell stecken wir in einer tiefgreifenden Verfassungskrise“, sagt er. „Gegner unserer Demokratie sitzen im Bundestag, und in den vergangenen Monaten haben wir immer wieder mitansehen müssen, wie sich Menschen versammeln, die unser demokratisches System ganz offen stürzen wollen.“
Wie sein Chef ist er der Ansicht, dass Unternehmen Nutznießer eines freien Rechtsstaats sind. Also müssten sie sich auch für den Schutz dieses Systems, für Vielfalt und Demokratie stark machen. Neben einer generellen CSR-Strategie sollten Firmenlenker und Kommunikatoren eine „Corporate Democratic Responsibility“ verankern. Eine solche hatte jüngst auch Claudia Oeking, External-Affairs- Chefin des Tabakkonzerns Philip Morris, gefordert.
Inzwischen haben sich mehr als 30 Unternehmen, Vereine und Institutionen aus der Region der Wintershall-Dea-Initiative angeschlossen. Zu den Unterstützern zählen neben Mittelständlern auch Konzerne wie VW. […]
Dieser Text ist ein Auszug. Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der prmagazin-Ausgabe Juli 2021.