Die EU will mit ihrer Green Claims Directive gegen irreführende Ökowerbung, Pseudo-Nachhaltigkeitssiegel und unzutreffende Umweltschutzversprechen vorgehen. Stephan Grüninger und Monika Eigenstetter, der Vorstandsvorsitzende und seine Stellvertreterin beim Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik, ordnen ein, was das für Unternehmen bedeutet – und sind keineswegs in allen Punkten einig.

prmagazin: Frau Eigenstetter, Herr Grüninger, sorgt das Thema Green Claims Directive in den Marketing- und Kommunikationsabteilungen derzeit für Aufregung? Oder wissen die Unternehmen noch gar nicht, was auf sie zukommt?
Stephan Grüninger: In den Foren, in denen ich mit Unternehmen zusammenarbeite, und bei meinen Managementtrainings kommen tatsächlich viele Fragen zur EU-Regulierung – allerdings im Moment eher zu anderen Feldern. Das Thema Green Claims wird wenig diskutiert. Mein Gefühl ist: Das bewegt sich noch auf der Ebene der Branchenverbände. Die allerdings laufen Sturm. Und ich kann es verstehen. Da kommt noch mehr bürokratischer Aufwand auf die Unternehmen zu, zusätzlich zur Regulierung der Lieferkettensorgfaltspflichten oder beim ESG-Reporting.
Monika Eigenstetter: Nun ja, man kann auch argumentieren, dass die EU den Unternehmen, die sich ernsthaft um Nachhaltigkeit und Transparenz bemühen, mit den Regulierungen helfen will, weil sie damit gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle schafft. Aber es stimmt natürlich: Die Kommission haut gerade einen Vorstoß nach dem anderen raus. Das kann einen überfordern.
Also sind Sie für die neuen Green-Claims-Regeln, Frau Eigenstetter, und Sie, Herr Grüninger, dagegen?
Grüninger: Ich halte es durchaus für richtig und wichtig, Greenwashing zu bekämpfen. Aber ob dieser Gesetzesentwurf leisten kann, was er verspricht, da habe ich offen gestanden meine Zweifel.
Warum das?
Grüninger: Insbesondere wegen des Ansatzes, dass jeder, der umweltbezogene Aussagen treffen möchte, diese durch eine Behörde absegnen lassen soll. Solche Stellen müssen erst noch geschaffen werden, überall in der EU. Und Unternehmen müssten sich künftig diesen bürokratischen Verfahren für jede einzelne umweltbezogene Werbebotschaft unterziehen, die sie sich vielleicht gar nicht leisten können, weil es Zeit in Anspruch nimmt und natürlich Kosten verursacht. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen werden das dann im Zweifel lieber bleiben lassen. Dabei wollen wir doch, dass Nachhaltigkeitsbemühungen durch maßvolle Kommunikationsmöglichkeiten auch „angereizt“ werden. Wenn es jemand übertreibt, kann schon heute jeder gegen ein Unternehmen vorgehen, das falsche Behauptungen verbreitet – dafür haben wir das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Ich bin also für Regulierung, die Greenwashing bekämpft – etwa durch klarere rechtliche Definitionen, was „Recycling“, „Bio“ oder Ähnliches bedeuten –, aber dagegen, dies bürokratisch zu überfrachten mit dem Mittel des Erlaubnisvorbehalts für umweltbezogene Aussagen, Konformitätsbewertungs- und Zertifizierungsverfahren.
Eigenstetter: Ja, es stimmt, derartige Abmahnungen gibt es auch heute schon. Aber mit dem EUVorstoß wäre die rechtliche Grundlage künftig doch viel klarer. Das gilt insbesondere bei diesen PseudoNachhaltigkeitssiegeln, die Unternehmen heute erfinden können, wie sie lustig sind. Oder sie erklären ein Produkt für nachhaltig, und dann enthält es fünf Prozent Biobaumwolle. Solch ein Wildwuchs ist künftig nicht mehr möglich, und das finde ich gut.
Werber dürfen also künftig weiter schwammige Werbeaussagen wie „innovativ“ oder „Number One“ nutzen. Aber wenn sie „klimaneutral“ oder „zirkulär“ draufschreiben, müssen sie das belegen, richtig?
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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der prmagazin-Printausgabe Oktober 2023.