Zeitreise

Ein halbes Jahrhundert prmagazin. Anlass zurückzublicken – aber vor allem nach vorn. Wo wird die PR-Branche in fünf, zehn oder zwanzig Jahren stehen? Was muss und wird sich definitiv ändern? Bei welchen Themen darf sich die Branche ruhig mal entspannen? Welche Hypes zeichnen sich am Horizont ab, welche wird man völlig vergessen haben? 44 prominente Branchenvertreter haben für uns ihre Gedanken zur Zukunft der Kommunikation aufgeschrieben.

Maximilian Schöberl
BMW Group

Eins ist sicher – auch für die Kommunikation: Nichts ist so beständig wie die Veränderung! Der enorm schnelle Wandel, den wir erleben, wurde sicherlich auch durch die Pandemie beschleunigt. Unverkennbar ist der relevante Trend hin zu virtueller Kommunikation. Virtuelle Kommunikation macht geografische Distanzen irrelevant, erreicht größere und neue Zielgruppen, ist schneller, direkter und meist nachhaltiger. Sie ersetzt nicht das persönliche Gespräch – auch das hat uns die Situation der vergangenen anderthalb Jahre verdeutlicht –, aber wir werden ihre Vorteile in Zukunft weiterhin verstärkt nutzen. Virtuelle Kommunikation wird integraler Bestandteil unserer Strategie und Arbeitsweise, sie erfordert neue Methoden und Konzepte. Emotionen, Storytelling, bewegende und bewegte Bilder sind dabei Träger klarer Aussagen. Ich sehe einen ganz klaren Trend: Unternehmenszweck, Purpose, Nachhaltigkeit und Verantwortung für die Menschen sind inhaltlich bestimmende Treiber für die Zukunft der Kommunikation.

Karin Schlautmann
Bertelsmann

Herzlichen Glückwunsch, prmagazin! Die vergangenen 50 Jahre haben Kommunikation stärker verändert als die 500 Jahre davor. Und so wird es weitergehen, wobei ich fest davon überzeugt bin, dass Kommunikation immer bedeutender, bunter und besser wird.

Immer bedeutender, weil neue (Arbeits-)Welten eine intensive Kommunikation erfordern, die Menschen untereinander, aber auch mit ihrem Unternehmen und dessen Werten verbindet und die oft über Erfolg oder Misserfolg entscheidet.
Immer bunter, weil die Menschen, die kommunizieren, zu ihrer eigenen Vielfalt stehen und weil die Kanäle, auf denen sie kommunizieren, ihrerseits vielfältiger, inklusiver und attraktiver werden.
Immer besser, weil Technologie eine noch schnellere, direktere, emotionalere und umfassendere Kommunikation ermöglichen wird. Audio und Video beispielsweise stehen mit ihrem Potenzial erst ganz am Anfang, und welche Möglichkeiten Künstliche Intelligenz der Kommunikation bieten wird, können wir noch gar nicht abschätzen.

Wer will – und kann – hat in Zukunft die Chance, sein eigenes Medium, seine eigene Marke zu schaffen. Vor der Kommunikation liegen goldene Zeiten, die echte Profis erfordern. Und genau da ändert sich im Vergleich zu den zurückliegenden 50 Jahren rein gar nichts.

Hendrik Schulze van Loon
Dietrich Schulze van Loon
Orca van Loon

Mit neuen, digitalen Technologien erhöht sich der Grad von Automatisierung in der Kommunikation. Das verringert Kosten und macht Wertschöpfung sichtbar. Die Messbarkeit von Kommunikation als Wertetreiber für Unternehmen und Organisationen wird unverzichtbar.
Das Management vielfältiger Meinungsbildungsprozesse auf gesellschaftlichen Ebenen gewinnt an Bedeutung und wird sich positiv auf die zu erzielenden Preise auswirken. Kommunikationsberatende werden als wichtige Navigatoren in der Informationsflut auf allen Kanälen unentbehrlich sein. Immer wichtiger werden sie auch als Sparringspartner der Unternehmensführung bei betriebswirtschaftlich sinnvollen, aber – gemessen am Grad der Durchsetzungsfähigkeit – problematischen Themen.
Für Unternehmen werden die Themen Nachhaltigkeit und vor allem CO2-Footprint unverzichtbar, wenn es um die License to operate geht. Es wird vermehrt darum gehen, nicht nur schöne Geschichten zu erzählen, sondern vor allem durch wirkliche Haltung und tatsächliches unternehmerisches Handeln die Legitimation aufrechtzuerhalten.
Die Professionalisierung der Kommunikation wird nicht zuletzt durch Wissenschaft, Technik und die Anforderungen auf Unternehmensseite voranschreiten. Themen wie Datenauswertung und Fakteneinordnung werden eine besondere Rolle einnehmen.
Manager/-innen von Meinungsbildungsprozessen sind Dirigenten, die Spezialisten im System zielorientiert orchestrieren, um auf strategische Kommunikationsziele einzuzahlen sowie zur Wertschöpfung für Unternehmen und Gesellschaft maßgeblich beizutragen.

Patrick Kammerer
Coca-Cola

Meine Thesen zur Kommunikation im Jahr 2031:
Die Boomer sind weg – in den Medien, in der Kommunikation, bei den Agenturen. Eine ganze Generation ist ausgewechselt.
Kommunikator:innen arbeiten umfassend vernetzt, entwickeln Projekte rund um die Welt und um die Uhr in digitalen Backlogs.
Vernetzte Teamplayer haben die Stars an der Spitze ersetzt, Dazulerner verdrängen vermeintliche Alleskönner.
Cyber-Sicherheit bleibt Thema. Unternehmen im internationalen Wettbewerb müssen sich weiterhin schützen vor Fake News, Angriffen durch orchestrierte Bots und Datendiebstahl.
B2C-Kommunikation ist gewachsen, also der direkte Austausch mit Konsument:innen ohne Vermittlung durch Nachrichtenmedien.
Social-Listening-Kompetenz ist noch wichtiger, dazu das AB-Testen von Botschaften: Welche Formulierung, welche Grafik wird am besten verstanden?
Kommunikation ist automatisierter, dabei aber besser organisiert – Algorithmen mit Sozialbezug, gemanagt von Menschen.
Der wichtigste Dekadensprung bei den Inhalten: Unternehmen haben ihre ESG-Agenda beschleunigt und die Kommunikation über ihre Nachhaltigkeitsbilanz ausgeweitet.
Doing good is good for the business: Der Bereich Sustainability ist aus der Kommunikation ausgegliedert. Handeln zuerst, weniger Ankündigungskommunikation.
Es ist die Ära der Authentizität: Vorstände/Geschäftsführer:innen zeigen mehr Persönliches als je zuvor. Die Kultur der Nahbarkeit zieht neue Talente an.

Tipp: Diese zehn Thesen sind ein Vorgeschmack. In der November-Ausgabe des prmagazins wird Patrick Kammerer in unserer Rubrik „Standpunkt“ ausführlicher in die Zukunft der Kommunikation blicken.

Nicole Mommsen
Volkswagen Group

Die Autobranche steckt in der größten Transformation ihrer Geschichte. Der Wandel zum autonomen Fahren ist mindestens so groß wie der Sprung von der Kutsche zum Auto. Ähnlich in der Kommunikation: digital statt analog. Jeder wird Content Creator. Die Treiber des Wandels: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Statt Silos: agile flexible Teamarbeit – und das grenzenlos global! Corona hat gezeigt, wie direkt digitales Arbeiten möglich ist, und den Fortschritt beschleunigt: Social Media ist längst kein Hobby mehr, sondern Business. Wer Erfolg haben will, muss in Echtzeit auf globale Debatten reagieren. Livestreams sind ein Must. Ein Post, der sitzt, kann mehr Wirkung erzielen als jede Marketingkampagne und durchaus traditionelle Meinungsmacher relativieren. Tempo und Professionalität werden in den nächsten Jahren noch einmal höher. Um die Qualität bei dieser Taktung zu sichern, brauchen Unternehmen starke Inhouse-Teams. Ein weiterer wichtiger Trend: Digitale Kommunikation ist messbarer als die analoge. Wer effizient und effektiv kommunizieren will, muss Daten analysieren können und Schlüsse ziehen. Über allem stehen weiterhin: Glaubwürdigkeit und Authentizität. Opportunismus wird durch das ungefilterte Feedback im Netz noch stärker bestraft.

Cornelia Kunze
I-sekai; GWPR Deutschland

PR in den nächsten 50 Jahren? Unmöglich, das vorauszusehen. Wir scheitern ja schon an den Infektionsprognosen
für die nächsten acht Wochen. Eins ist sicher: Vieles wird anders sein als wir denken. Anderes zeichnet sich bereits ab: Die digitalen Jobtitel werden abgeschafft sein, weil jeder digital arbeitet. Die Grenzen zwischen Owned, Earned und Paid Media werden aufgelöst oder nicht
mehr erkennbar sein, ebenso zwischen offline und online (was ist noch mal offline?). Die Grenzen der Arbeit zwischen
Inhouse-Abteilungen und Agenturen verschwimmen. Talente bewegen sich freier im Markt, ohne Langzeitverpflichtung.
Die „PR-Factory“ wird mehr und mehr automatisiert. Budgets und Honorare werden in China steigen und in Deutschland
sinken. Einige der heutigen Unicorns werden unsere Arbeitgeber und Kunden von morgen, andere werden verschwunden
sein. Unsere Kultur wird ein wenig diverser und hoffentlich inklusiver. Die wachsenden globalen Herausforderungen
brauchen mehr denn je die Kommunikationsspezialistinnen und -spezialisten, denen der schnelle Perspektivwechsel in fluiden Umfeldern
gelingt. Das prmagazin wird all diese Veränderungen begleiten! Happy anniversary, Herr Rommerskirchen, Frau Ullrich und Team Rommerskirchen.

Michael Preuss
Bayer

Fünfzig Jahre prmagazin: ein guter Anlass, um einen Pionier der Branche kräftig zu feiern. Und eine gute Gelegenheit, die kommunikative Kristallkugel zu bemühen. Was wird in den kommenden Jahren noch wichtiger? Hier meine Top Five: Die Kommunikation der Zukunft wird bunter, weil Inklusion und Vielfalt endlich auf allen Ebenen gelebt werden. Sie wird zudem aufgrund steigender Ansprüche an Transparenz und nachhaltiges Handeln für alle Organisationen messbar erfolgskritischer. Das wiederum erfordert, dass ganzheitlicher gedacht und geplant werden muss, weil die Anspruchsgruppen zunehmend vernetzt agieren. Insofern ist die Kommunikation auch keine Sendeanstalt, sondern sie hört zu – und kann so viel fokussierter auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen eingehen. Und: Wer auch in Zukunft relevant sein will, der muss den Mut haben, meinungsstärker zu werden – und vermehrt in den Dialog statt in Deckung gehen! „All digital“ ist die Zukunft ohnehin schon. Gestalten wir also die kommenden 50 Jahre!

Christiane Schulz
Edelman

Die SchulzscheGlaskugel sagt: PR-Agenturen wird es auch in 20 Jahren noch geben.
„Der Tod von Agenturen“ ist eine sich wiederholende Diskussion einiger Herren, die sich ruhig mal entspannen dürfen. Agenturen wird es auch in 20 Jahren noch geben – natürlich nur die, die ihren Kunden einen konkreten Mehrwert bieten und sich ständig wandeln, um relevant zu bleiben. Die Glaskugel zeigt deutlich, dass besonders PR-Agenturen im Vorteil bei der weiteren Agenturrevolution sind. Dabei hilft ihnen der Fokus auf Vertrauens- und Reputationsbildung. Denn das ist die Währung, die kein Verfallsdatum hat. Blickt man tiefer in die Kugel, zeigt sich glasklar, dass sie sogar noch bedeutender wird! Trüber wird es bei der Aussage, wie groß die Rolle von AI sein wird. Die datenbasierte Kommunikation ist jedoch nicht mehr wegzudenken. Ein scharfes Bild zeichnet die Kugel hingegen bei der Frage, wer weiterhin die glaubwürdigsten und relevantesten Inhalte für Zielgruppen liefern wird: die PR. Dazu wird ein Earned-Mindset stark nachgefragt sein – so wie bisher mit einem tiefen Wissen über integrierte Kommunikation.

Bernhard Kellner
Erzbischöfliches Ordinariat München
Michael Wedell
Zentralkomitee der deutschen Katholiken; Brunswick Group

Wie ist kirchliche Kommunikation in zehn Jahren? Klar und wahrhaft, vielseitig, authentisch, glaubwürdig und gern auch wahnsinnig schnell. Das sind die Anforderungen an erfolgreiche Kommunikation. Sie stehen indes nicht losgelöst, sondern sind auf die gesellschaftliche Realität bezogen. Im Digital Age klappt Kommunikation nur auf Augenhöhe mit einer diversen Gesellschaft. Sie muss dialogisch sein und das Gegenüber als gleichwertige Person wertschätzen. Schief geht zunehmend: belehren, von oben herab, one-to-many. Besser funktioniert schon heute: zuhören, runter vom Ross, one-to-one. Das Christentum liefert die Blaupause für eine barrierefreie Kommunikation. Es folgt der Idee, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist und alle Menschen Schwestern und Brüder sind. In zehn Jahren hat Kirche es geschafft, das in ihrer Kommunikation neu einzulösen. Entscheidend ist die Haltung. Welche Netzwerke und Tools man nutzt, folgt daraus. Natürlich braucht es zudem Wahrhaftigkeit und Transparenz im journalistischen Sinn. Im besten Fall winkt dann als Preis neue Glaubwürdigkeit. Nichtbeachtung mündet in kommunikativer Selbstverzwergung.


Diese Statements sind ein Auszug.
Lesen Sie in der prmagazin-Ausgabe September 2021 die Prognosen von:

Sebastian Rudolph (Porsche)
Margarita Thiel (Aareal Bank)
Andreas Bartels (Deutsche Lufthansa)
Sven Korndörffer (Commerzbank)
Nina Schwab-Hautzinger (BASF)
Peter Felsbach (voestalpine)
Felix Gress (Continental)
Kristina Faßler (WELT)
Benjamin Minack (ressourcenmangel; GWA)
Susanne Marell (Hill+Knowton Strategien)
Christoph Sieder (Syngenta)
Christian Löcker (GK Unternehmens- und Personalberatung)
Alexander Güttler (komm.passion)
Wigan Salazar (MSL)
Iris Heilmann (Palmer Hargreaves)
Henning Kempe (FleishmanHillard)
Anke Schmidt (Beiersdorf)
Christoph Beumelburg (HeidelbergCement)
Lutz Golsch (FTI Consulting)
Jörg Eigendorf (Deutsche Bank)
Barbara Schäfer (Roche)
Alexander Geiser (Finsbury Glover Hering)
Martin Brüning (Rewe)
Carsten Tilger (Henkel)
Marie-Christine Knop und Gertrud Kohl (Brunswick)
Gerd Koslowski (Metro)
Bernd O. Engelien (Zurich)
Sabine Hückmann (Ketchum)
Oliver Schumacher (Deutsche Bahn)
Jan Runau (adidas)
Tijen Onaran (Global Digital Women)
Christoph Minhoff (Lebensmittelverband)
Tina Kulow (Facebook)
Philipp Schindera (Deutsche Telekom)