“Die Menschen wollen Lösungen”

Nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien sammelten Rudi Tarneden und sein Team in Rekordzeit Spendengelder ein. Der langjährige Deutschland-Kommunikator von Unicef berichtet, wie das gelungen ist – und wie das Kinderhilfswerk damit umgeht, dass es für Hilfsorganisationen heute so viel schwieriger ist durchzudringen.

“Wir müssen auch dann dranbleiben, wenn die internationalen Medien weitergezogen sind”: Unicef-Deutschland-Sprecher Rudi Tarneden. (Foto: UNICEF 2023/Sachse-Grimm)

prmagazin: Herr Tarneden, als Sie am Morgen des 6. Februar von dem Erdbeben in der Türkei und in Nordsyrien erfahren haben – war Ihnen da gleich klar, was auf die Menschen in der Region zukommt? Und auf Unicef?

Rudi Tarneden: Es waren die ersten Nachrichten, die ich morgens wahrgenommen habe. Und ich habe sofort gedacht: Das könnte sehr schlimm werden. Ich kenne die Region. Teile Nordsyriens sind nach fast zwölf Jahren Bürgerkrieg nicht von der Regierung kontrolliert, dort leben sehr viele Geflüchtete. Genauso in der Türkei, wohin viele syrische Familien geflohen sind. Das Gebiet beiderseits der Grenze ist dicht besiedelt, viele Menschen sind arm, es gibt viele Spannungen in der Gesellschaft. Aus den Erfahrungen von 1999 – als es das letzte schwere Erdbeben in der Türkei gab – wusste ich, dass die Gebäude teils instabil sind und mit sehr großen Schäden zu rechnen ist.

Wie haben Sie in der Kommunikation reagiert?

Wir haben uns in der Morgenlage zusammengefunden und versucht, erste Informationen einzuholen. Es war eine organisatorische Runde aus Marketing, Geschäftsleitung, Kommunikation. Wir haben versucht, uns ein erstes Bild zu verschaffen, die Folgen für Kinder abzuschätzen, das Ereignis vorläufig einzuordnen und das weitere Vorgehen zu besprechen. Seit Sommer 2022 haben wir einen Newsroom mit einem Mediendesk für die klassische Medienarbeit und einem Themendesk, um Inhalte vertieft aufzubereiten. Meine Kollegin in Berlin, Unicef-Sprecherin Christine Kahmann, hat das Thema Ukraine übernommen, ich habe mich auf das Erdbeben konzentriert. Weil auch noch Kollegen krank waren, bestand eine Engpasssituation. Dank des Newsroom-Prinzips hatten wir aber schnell ein Grundset an Informationen für alle Kanäle zugänglich gemacht, die ich dann täglich aktualisiert habe.

Wie viele Anfragen von Medien haben Sie normalerweise – wie viele waren es in der Woche nach dem Erdbeben?

Den Winter über hatten wir sehr viele Anfragen zur Ukraine – seit November hat Christine Kahmann über 40 Interviews gegeben. Das lag auch daran, dass sie mit unserem Geschäftsführer Christian Schneider vor Ort gewesen war. Zum Erdbeben hatten wir gar nicht so viele Interviewanfragen – vielleicht zehn, viele Korrespondent:innen berichteten direkt von vor Ort. Ich habe zwei ausführliche Interviews gegeben, eins für t-online, eins dem stern. Die Leiterin von Unicef Syrien, die in Aleppo das Beben selbst erlebt hatte, hat uns in einer Teams-Konferenz intensiv die Lage der Familien und die ersten Hilfsmaßnahmen geschildert.

Welche Leute hat Unicef ansonsten im Erdbebengebiet vor Ort?

Aus dem türkischen Gaziantep gehen die Hilfslieferungen im Rahmen einer sogenannten Cross-Border-Operation nach Nordwestsyrien, wo Unicef mit einem Netzwerk von Partnern arbeitet. Hilfe für die Menschen in dem von der Regierung kontrollierten Gebiet erreicht die Menschen im Rahmen des seit Jahren bestehenden Nothilfeprogramms von Unicef Syrien. In einer solchen Situation kann man nicht einfach die jeweiligen Teams in den Field Offices anrufen, denn die Kollegen sind dabei, sich zu organisieren und sich ein Bild zu machen, und sind völlig überlastet. Eine ganze Reihe von Mitarbeitenden ist selbst betroffen. Sie haben Angehörige und ihre Häuser verloren, mussten sich um ihre Familien kümmern. Im Büro in Gaziantep haben zeitweise 90 Menschen übernachtet.

Wo bekommen Sie Ihre Informationen dann her?
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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der prmagazin-Printausgabe März 2023. Möchten Sie weiterlesen? Klicken Sie hier, wenn Sie ein Jahres- oder Probeabo abschließen oder ein Einzelheft bestellen möchten.