Der Antreiber

Médard Schoenmaeckers bringt die Kommunikation von Boehringer Ingelheim auf Vordermann. Bei dem größten forschenden Arzneimittelhersteller hierzulande agiert er radikal und verfolgt kühne Visionen. Noch steckt sein neuer Bereich Corporate Affairs im Umbau. Doch bald sollen erste Ergebnisse zu sehen sein.

Man stelle sich vor, ein großer deutscher Konzern startet eine langjährige Partnerschaft mit einer NGO. Und es geht nicht darum, symbolisch ein paar Brachflächen aufzuforsten oder Spendengalas auszurichten. Nein, der Konzern finanziert und fördert weltweit systematisch Gründer, die in ihren Ländern Probleme des Gesundheitswesens lösen.

Boehringer Ingelheim tut das mit seiner Initiative „Making More Health“. Der Pharmakonzern arbeitet seit 2010 mit dem Sozialunternehmer-Netzwerk Ashoka zusammen, hat Mitarbeiter freigestellt, damit sie Wasser- und Hygieneprojekte in Indien, Kenia, Nigeria und Ghana unterstützen können. Hat inzwischen mehr als 120 Sozialunternehmer und -unternehmerinnen finanziert.

Gerade investieren die Rheinland-Pfälzer 50 Millionen Euro zusätzlich für die Initiative „Boehringer Ingelheim Social Engagements“, einen Fonds, der Start-ups in Afrika fördern soll, die es oft schwer haben, an Kapital zu kommen. Es geht um Menschen wie Adama Kane aus dem Senegal mit seiner Online-Apotheke, bei der Kunden in Raten zahlen dürfen. Oder Benny Prawira Siauw in Indonesien, der junge Landsleute zum Thema psychische Krankheiten schult, weil das in seiner Heimat ein Tabu ist.

Die bescheidenen Ingelheimer, geprägt von der Kultur eines zurückhaltenden Familienunternehmens, haben jahrelang sparsam über „Making More Health“ berichtet. Findet zumindest Médard Schoenmaeckers, seit Februar 2020 Kommunikationschef des Arzneimittelherstellers. „Wir haben viele, ganz großartige Projekte und Initiativen“, sagt er. „Das weiß aber kaum jemand. Wir möchten mehr darüber reden und damit auch Partner zum Mitmachen gewinnen.“

Der 52-Jährige ist genau dafür angetreten. Er wünscht sich eine „strategische Agenda“ der Kommunikation, die genau eruiert, was die Zielgruppen interessiert und wo es Überschneidungen mit den Themen gibt, die für Boehringer wichtig sind. „Digitalisierung ist so ein Thema, oder Innovation mit Empathie“, sagt Schoenmaeckers. „Und eben Sustainable Development und damit auch ,Making More Health‘. Das ist für unsere Zielgruppen total spannend, wenn wir das richtig rüberbringen.“

In der Kommunikation des Pharmakonzerns hat er schon jetzt kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. „Er stellt alles infrage“, ist von Mitarbeitern zu hören. Der Niederländer Schoenmaeckers sei offen, charmant, zupackend – fast amerikanisch. Wegen seines schwer auszusprechenden Nachnamens (S-choon-maakers) nennen ihn alle nur Médard.

Doch er kann auch anders, ist knallhart, wenn es sein muss, ungeduldig und radikal, sagen Mitarbeiter. Schoenmaeckers hat seine Leute in den vergangenen zwei Jahren ganz schön getriezt. Alles soll jetzt weltläufig sein und modern. Oder, wie Schoenmaeckers – sozialisiert auf dem internationalen Parkett des Investmentbankings – es selbst formuliert: „Ich glaube, dass bei Boehringer moderner, agiler und kommerziell erfolgreicher gearbeitet wird, als man uns zutraut.“ Der Pharmakonzern ist aus seiner Sicht so etwas wie das „bestgehütete Geheimnis der deutschen Wirtschaft“.

Schoenmaeckers war Ende 2019 noch Leiter Interne Kommunikation bei der Schweizer Großbank Credit Suisse in Zürich. Zwei Jahre zuvor hatte er sich auf die Position eingelassen, obwohl sie nominell einen Karierreabstieg bedeutete: Bei der britischen Bank HSBC war er zuvor Head of Communications gewesen. Der neue Job reizte ihn, weil es um den längst überfälligen Kulturwandel in der Credit Suisse gehen sollte, die zuvor eine eher zweifelhafte Reputation hatte. Zudem, sagt Schoenmaeckers, sei ihm noch nie wichtig gewesen, „wie groß das Königreich ist“.

Doch die Dinge liefen nicht, wie er es gern gesehen hätte. Also besprach er mit befreundeten Headhuntern eine Rückkehr in die Life-Sciences-Branche. Seine Jahre bei DSM und Syngenta seien sehr „purposeful“ gewesen, wie er es in einem unnachahmlichen Gemisch aus Niederländisch-Deutsch und Englisch ausdrückt.

Ziemlich rasch kam der Anruf von Boehringer. Ex-ZDF-Journalist Philipp Baum, der die Kommunikation des Familienunternehmens 18 Jahre lang geleitet hatte, war im Begriff, sich zur Ruhe zu setzen – man suchte einen Nachfolger. Und der tatendurstige Schoenmaeckers nahm die Geschäftsleitung unter dem Gründer-Urenkel Hubertus von Baumbach schnell für sich ein.

Boehringer Ingelheim ist ein Sonderfall unter Deutschlands Großunternehmen. Der Konzern ist der größte forschende Arzneimittelhersteller hierzulande, gehört aber zu 100 Prozent den Erben des Gründers. Niemand muss externen Investoren Rechenschaft ablegen, man rühmt sich einer langfristigen und nachhaltigen Geschäftspolitik, die nicht von den Launen des Kapitalmarkts abhängt.

Ein Wirtschaftsjournalist, der sich seit Jahren mit der Branche befasst, sagt: „Einerseits muss Boehringer kaum Zahlen publizieren, die Eigentümerfamilien haben keine Lust auf Öffentlichkeit – deshalb war man bisher extrem zurückhaltend in der PR. Auch beim Marketing habe ich das Unternehmen immer eher als schwach empfunden.“

Andererseits spiele der Konzern wirtschaftlich in einer Liga mit Merck und Bayer und brauche genauso seine 25 Prozent Rendite. Zuletzt habe sich offenbar die Erkenntnis durchgesetzt, dass man das Schneckenhaus verlassen muss. Der Journalist mutmaßt: „Der Außenaufritt soll auf den Standard börsennotierter Konkurrenten kommen.“

Schoenmaeckers analysiert die Lage so: „Es gab den Wunsch, das Profil zu schärfen und die Unternehmensmarke zu stärken.“ In der Vergangenheit sei die Frage, wie Boehringer Ingelheim positioniert ist, weniger relevant gewesen. „Man beschränkte sich im Wesentlichen auf den Hinweis, ein unabhängiges Familienunternehmen zu sein, und blieb ansonsten ganz bewusst unter dem Radar. Die Investitionen gingen in die Produktmarken.“

Die Rolle von Unternehmensmarken habe sich aber geändert, ist er überzeugt: „Es gibt Themen, bei denen man Farbe bekennen muss – bei ESG zum Beispiel. Wir sind eins der 20 größten globalen Pharmaunternehmen, das zweitgrößte für Tiermedikamente. Wir haben eine gewisse Rolle und Verantwortung. Und: Wir konkurrieren mit börsennotierten Unternehmen um die besten Leute.“

Boehringer war aus seiner Sicht darauf nicht vorbereitet. […]

Dieser Text ist ein Auszug. Die komplette Titelstory lesen Sie in der prmagazin-Ausgabe März 2022.