Code statt Beton

Souveränität, Resilienz, strategische Autonomie – statt von Rechenzentren zu schwärmen, sollten wir an Software denken. Sonst zementieren wir den Rückstand von morgen, meint Monika Schaller, Chief Communications Officer von SAP.

„Europa braucht ein Narrativ, das trägt: Warum handeln wir? Was kostet es? Welchen Nutzen bringt es?“ – Monika Schaller

Europa liebt große Gesten: Milliarden für Rechenzentren, nationale Clouds, Gipfelfotos vor frisch gegossenen Betonwänden. Nur: Beton kann nicht programmieren. Souveränität wächst nicht aus Zement, sondern aus Code, Kompetenz und Kontrolle. Die Verwechslung ist folgenschwer. Wir tun so, als sei der Besitz von Infrastruktur gleichbedeutend mit Unabhängigkeit. Ist er nicht. Selbst das „europäischste“ Rechenzentrum rechnet auf nicht-europäischen Chips, mit nicht-europäischer Software und bleibt ohne Vorteil, wenn wir Anwendungen, Datenmodelle und Betriebshoheit nicht in den Griff bekommen. Souveränität heißt steuern können, nicht alles selbst bauen.

Wo Daten hochsensibel sind, brauchen wir isolierte Umgebungen. Wo nicht, nutzen wir Spitzentechnologie globaler Anbieter – aber zu unseren Bedingungen: Datenlokation in Europa, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, Auditierbarkeit, Exit-Szenarien. So sieht digitale Selbstbehauptung aus. Was uns bremst, sind Fragmentierung und Regulierungsreflexe. Der Flickenteppich nationaler Lösungen verdoppelt Kosten und halbiert Wirkung. Und während wir Verordnungen in Schönheit sterben lassen, warten Unternehmen auf Klarheit. Der Data Act und der AI Act brauchen dringend Praxisleitfäden statt Paragrafenpoesie, sonst regulieren wir uns aus dem Rennen.

Die Lösung ist unbequem, aber simpel: Code statt Beton. Investieren wir in KI-Anwendungen, die Wert schaffen: selbststeuernde Lieferketten, vorausschauende Instandhaltung, smartes Energiemanagement, digitale Verwaltungsleistungen, die diesen Namen verdienen. Anwendung schafft Nachfrage nach Kapazität, nicht umgekehrt. Wer zuerst die Use Cases skaliert, bestimmt die Spielregeln.

Und wir müssen aufhören, uns mit Buzzwords zu beruhigen. „Souveränität“, „Resilienz“, „Strategische Autonomie“: Klingt gut, bleibt ohne Umsetzung aber Rhetorik. Europa braucht ein Narrativ, das trägt: Warum handeln wir? Was kostet es? Welchen Nutzen bringt es? Nur so entsteht Akzeptanz und Vertrauen.

Europa hat, wofür andere uns beneiden: industrielles Prozesswissen, Daten, Ingenieurskultur. Was fehlt, ist der Mut, europäisch zu skalieren. Also: Schluss mit angeblicher Souveränität im Ländle-Format. Wir brauchen ein gemeinsames CloudÖkosystem, das mehrere Anbieter einbindet, europäische Werte schützt und die Innovationsgeschwindigkeit der Konkurrenz nicht nur kommentiert, sondern kontert.

Bleibt die wichtigste Ressource: Menschen. Ohne Weiterbildungsoffensive bleibt jede Strategie wirkungslos. Wir brauchen digitale Exzellenz auf allen Ebenen – von der Fabrik bis ins Ministerium. Sonst stehen die schönsten Rechenzentren leer, während die Wertschöpfung anderswo passiert. Beton kann nicht programmieren. Europa schon – wenn wir wollen.

Dieser Kommentar ist zuerst in der prmagazin-Ausgabe 10/2025 erschienen.




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