
Am 25. September endet die documenta fifteen. Die weltweit wichtigste Kunstausstellung, in diesem Jahr unter der künstlerischen Leitung des indonesischen Künstlerkollektivs ruangrupa, sorgte für heftige Auseinandersetzungen weit über die Kunstwelt hinaus. Über den umstrittenen Umgang mit den massiven Antisemitismus-Vorwürfen während der Schau sprechen wir mit Krisen-PR-Experte Hartwin Möhrle.
prmagazin: Die documenta fifteen kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. Wundern Sie sich über die misslungene Krisenkommunikation?
Hartwin Möhrle: Ja. Aber der Fall hat eine Besonderheit: Oft muss in Krisen unterschieden werden zwischen dem Umgang der Verantwortlichen mit dem krisenverursachenden, inhaltlichen Problem und der Kommunikation dazu. In diesem Fall sind Problembewusstsein und kommunikativer Umgang damit nicht voneinander zu trennen. Das eine hängt unmittelbar mit dem anderen zusammen.
prmagazin: Schon vor Beginn der Ausstellung kam die Sorge auf, dass diese einen antisemitischen Anklang haben könnte, weil das Künstlerkollektiv ruangrupa keine jüdischen Künstler beteiligt hat. Hätte man auf die Bedenken früher eingehen müssen?
Möhrle: Wenn ich als Veranstalter bereits im Vorfeld merke, dass es anhaltende Kritik zu einem Thema gibt, welches in Deutschland – völlig zu Recht – von einer extrem hohen Sensibilität ist, dann muss ich vorausschauen, sowohl inhaltlich als auch kommunikativ. Ich muss klären, ob an Vorwürfen etwas dran sein könnte und welche Konsequenzen für die Veranstaltung und die Beteiligten das haben könnte. In dem Fall war die Wahrscheinlichkeit, dass die documenta-Leitung das Thema inhaltlich und kommunikativ aufgreifen muss, äußerst hoch. Darauf hat man sich, wie es scheint, nicht oder nur sehr schlecht vorbereitet.

Hartwin Möhrle
prmagazin: Die documenta argumentiert, dass man nicht in die Kunstfreiheit eingreifen wolle.
Möhrle: Eine denkbar schlechte Entschuldigung, sowohl im Sinne der Freiheit der Kunst als auch im Sinne der Freiheit einer offenen und konfliktfähigen Gesellschaft. Vor allem wenn es schlicht um in Kunst verpackten Antisemitismus geht. Kunst Kunst sein zu lassen, ist ja grundsätzlich richtig. Trotzdem muss man sich die Frage stellen, wie Kunst auf die Gesellschaft oder bestimmte gesellschaftliche Gruppen wirken kann. Man kann trotzdem zu der Einschätzung kommen, Dinge zu zeigen, die mit großer Wahrscheinlichkeit Kontroversen auslösen werden. Genau darauf aber sollten sich auch Kunstveranstalter vorbereiten. Das bei dieser Themenkonstellation nicht entsprechend umfassend zu tun, war grob fahrlässig.
prmagazin: Aber hätte das wirklich etwas an dem Skandal an sich geändert?
Möhrle: Eine auf den Konflikt und seine Dimensionen vorbereitete documenta-Leitung, inklusive der Beteiligten seitens der Politik, hätte wenigstens die Chance gehabt, daraus eine öffentliche Auseinandersetzung als Teil der documenta fifteen zu machen. So aber wurde das eigene Verhalten zum Teil des Skandals. Offenbar haben sie geglaubt, die Freiheit der Kunst erlaubt es, die Dinge einfach laufen zu lassen. Ein Thema wie Antisemitismus im Namen der Freiheit laufen zu lassen, geht weder in Deutschland noch anderswo. Zumal ein solches Verständnis von Freiheit historisch oft genug dazu geführt hat, dass die Freiheit selbst am Ende darunter leidet.
prmagazin: Was hätte man denn präventiv tun können, ohne in die Freiheit der Kunst einzugreifen?
Möhrle: […]
Dieser Text ist ein Auszug. Das vollständige Interview mit Hartwin Möhrle lesen Sie in der prmagazin-Ausgabe September 2022.