Zwischen Greenwashing und Greenhushing
Schärfere Gesetze, die Verankerung von „Sustainability“ in der Anlagestrategie von Investoren, wachsendes Bewusstsein bei Journalisten, NGOs und Öffentlichkeit: Nachhaltigkeitskommunikation birgt für Unternehmen immer mehr Aufwand und (juristische) Stolpersteine.
Das prmagazin wollte wissen: Was war die größte Herausforderung für Ihre Kommunikationsstrategie? Was muss sich ändern, damit Unternehmen verlässliche Konzepte für Nachhaltigkeitskommunikation entwickeln können? Und welche kommunikativen Leuchtturmprojekte haben Sie zuletzt umgesetzt?
Geschäftsführerin Produktmanagement und Nachhaltigkeit
dm-drogerie markt
Die größte Herausforderung?
Unseren Kundinnen und Kunden möchten wir die Möglichkeit geben, eine fundierte Kaufentscheidung zu treffen. Unser Eigenmarkensortiment, etwa mit den als „Pro Climate“ gekennzeichneten Produkten, spielt dabei eine wichtige Rolle. Dahinter steckt ein ambitioniertes und wissenschaftlich fundiertes Konzept, um die ökologischen Auswirkungen unserer Produkte zu messen, zu reduzieren und verbleibende Auswirkungen auszugleichen. Diese mitunter wissenschaftlich-komplexen Sachverhalte und unsere darauf basierenden Entscheidungen zu kommunizieren, erweist sich immer wieder als Herausforderung. Ein Beispiel sind Produkte, bei denen ein Life Cycle Assessment (LCA) für eine ökologische Optimierung des Produkts im Ergebnis die Verwendung einer Kunststoffverpackung empfiehlt. Es ist aber weit verbreitete Ansicht, dass Glas oder Pappe grundsätzlich nachhaltiger sind. Mit unserem „Pro Climate“-Sortiment möchten wir bei dm Vertrauen bei unseren Kundinnen und Kunden aufbauen und eine Wiedererkennbarkeit unserer Händlerleistung ermöglichen. Es gibt jedoch viele Siegel, Prädikate und Slogans im Handel, und in Bezug auf die entsprechenden gesetzlichen Anforderungen ist derzeit viel im Umbruch. Es kommt also darauf an, komplexe Sachverhalte prägnant, verständlich und transparent zu vermitteln.
Was muss besser werden?
Wissenschaftliche Methoden zur Ermittlung von Umweltauswirkungen, wie etwa Ökobilanzen, sind wissenschaftliche Methoden, die für Laien nicht immer nachvollziehbar sind. Sind wir nicht transparent genug, verstehen die Menschen uns nicht. Machen wir zu viele Informationen transparent, riskieren wir, die Menschen zu verlieren. Ein weiteres Problem sind fehlende Definitionen, was zum Beispiel Mikroplastik ist oder was „klimaneutral“ genau bedeutet. Mikroplastik etwa wurde erst mit der kürzlich verabschiedeten Verordnung genauer definiert – gehandelt haben wir seit 2014. Neue rechtliche Rahmenbedingungen, wie die Green Claims Directive der EU, sollen hier für mehr Klarheit sorgen. Für Unternehmen muss das Handeln nach diesen Regeln aber umsetzbar bleiben – auch finanziell.
Aktuelle Leuchtturm-Projekte?
Wir feiern in diesem Jahr unser 50-jähriges Bestehen und haben dieses Jubiläum ins Zeichen der Zukunft gestellt. Wir haben uns an Megatrends des Zukunftsinstituts orientiert und fünf Themen ausgewählt, von denen wir glauben, dass ihnen die Gesellschaft große Aufmerksamkeit widmen sollte: Individualität und Gesellschaft, Ökologische Zukunftsfähigkeit, Perspektiven für Kinder und Jugendliche, New Work und Gesundheit. Mit fünf spannenden Podiumsdiskussionen ließen wir diesen Themen auf dem Höhepunkt unseres Jubiläumsjahrs, der dm-Zukunftswoche in Berlin, besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.
Die größte Herausforderung?
Unsere größte Herausforderung war und ist es immer noch, den verbreiteten Eindruck zu ändern, dass Messen generell nicht nachhaltig sein können. Wir erreichen dieses Ziel, indem wir überzeugend kommunizieren, immer wieder konkrete Beispiele aufzeigen, authentische Geschichten erzählen. Unsere Mitarbeitenden und deren Engagement sind oftmals Kern der Geschichte. Transparenz ist dabei entscheidend. Dazu gehört, auch darüber zu reden, was noch nicht optimal läuft.
Was muss besser werden?
Auf Messen treffen vielfältige Zielgruppen aufeinander. Eine standardisierte Ansprache gibt es da nicht. Das Informationsbedürfnis der Aussteller unterscheidet sich extrem von den Erwartungen der Besucher. Eine besondere Herausforderung liegt in den Unterschieden im Wissensstand der Teilnehmenden sowie den eingeschränkten Forschungsmöglichkeiten in der Messebranche selbst.
Für zuverlässige Klima- und Nachhaltigkeitskommunikation in Unternehmen bedarf es künftig mehr branchenübergreifender Standards, verstärkter Bewusstseinsbildung innerhalb und außerhalb der Unternehmen sowie einer erhöhten Transparenz in Bezug auf Anstrengungen und Ergebnisse.
Aktuelle Leuchtturm-Projekte?
Unser aktuelles kommunikatives Leuchtturm-Projekt im Bereich Klima und Nachhaltigkeit ist die Entwicklung eines Leitfadens für Veranstalter auf unserem Gelände. Dieser beinhaltet eine umfassende Checkliste, um eine nachhaltigere Organisation von Veranstaltungen zu fördern. Die Inhalte reichen von Empfehlungen zum Aufbau über das Catering bis hin zur Reinigung. Darüber hinaus setzen wir uns intensiv für die Sensibilisierung unserer Mitarbeitenden ein. Jährlich veranstalten wir einen internen Nachhaltigkeitstag und integrieren fortlaufend Nachhaltigkeitsthemen in unsere interne Kommunikation. Viele der Programmpunkte kommen aus der Belegschaft. Das Engagement im Haus ist beindruckend groß.
Direktorin Kommunikation/Unternehmenssprecherin
Messe Stuttgart
Generalbevollmächtigter Globale Kommunikation & Außenbeziehungen
Daimler Truck
Die größte Herausforderung?
Nach dem Spin-off vom Daimler-Konzern standen wir vor der Herausforderung, unserem eigenständigen Unternehmen eine nachhaltige Geschäftsstrategie und eine damit einhergehende Schwerpunktsetzung zu geben, die speziell die Rahmenbedingungen des Transportsektors in Sachen Klima berücksichtigt. Erst nachdem diese verabschiedet worden waren, konnten wir dafür eine Kommunikationsstrategie aufsetzen.
Was muss besser werden?
Bislang gab es keinen einheitlichen Berichterstattungsstandard im Hinblick auf Nachhaltigkeit von Unternehmen. Die Tiefe der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist daher unterschiedlich ausgeprägt. Die im November 2022 vom EU-Parlament verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ändert das. Wir erhoffen uns mit deren Umsetzung im Zuge der nicht-finanziellen Berichterstattung einheitlichere Standards, was letztlich Orientierung und Transparenz schafft.
Aktuelle Leuchtturm-Projekte?
Daimler Truck hat erfolgreich demonstriert, dass die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie eine richtige Lösung für die Dekarbonisierung des flexiblen und anspruchsvollen Langstrecken-Straßentransports sein kann. Ein für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassener Prototyp des Mercedes-Benz GenH2 Truck legte dabei im Rahmen des Daimler Truck #HydrogenRecordRun im September 2023 mit einer Tankfüllung flüssigem Wasserstoff eine Strecke von 1.047 Kilometern zurück.
Darüber hinaus sind wir bei Mercedes-Benz Trucks dabei, den Lieferverkehr in das größte Lkw-Werk bis Ende 2026 zu 100 Prozent zu elektrifizieren. Gemeinsam mit Logistikdienstleistern und Spediteuren, die täglich das größte Lkw-Werk von Mercedes-Benz Trucks beliefern, arbeiten wir daran, in deren Flotten sukzessive elektrisch angetriebene Lkw zu integrieren. All das begleiten wir natürlich auch kommunikativ.
Die größte Herausforderung?
Aufgrund der großen geopolitischen Spannungen und Krisenfelder in diesem Jahr war es generell sehr schwierig, mit Nachhaltigkeitsthemen von einer großen Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Wir haben uns daher vor allem auf regionale Themengebiete fokussiert, die wir im Nachhaltigkeitsbereich umsetzen und entsprechend kommunizieren konnten.
Was muss besser werden?
Die aktuelle Gemengelage durch Multikrisen beeinflusst natürlich auch die Planbarkeit für Unternehmen, sowohl mit Blick auf ihr geschäftliches Wirken als auch auf andere Maßnahmen, nicht zuletzt zum Thema Nachhaltigkeit sowie der entsprechenden Kommunikation. Es gibt aktuell kaum Planungssicherheit. Es gilt, sich sehr schnell auf sich wandelnde Umfelder einzustellen und entsprechend zu reagieren. Das betrifft auch und im Besonderen die Kommunikation.
Aktuelle Leuchtturm-Projekte?
Unser kommunikatives Highlight im Bereich Nachhaltigkeit waren auch in diesem Jahr die „Growling Creatures“ (www.growling-creatures.de). Gemeinsam mit unserem Partner, dem Musikfestival „Wacken Open Air“, haben wir diese fiktive Band aus bedrohten Tierarten 2022 ins Leben gerufen, um auf den Artenschutz aufmerksam zu machen. In diesem Jahr konnten wir mit der Maßnahme sogar einen Weltrekord aufstellen, nämlich „den lautesten Growl einer Menschenmenge“, und zwar direkt vor Ort beim Festival in Wacken.
Leiter Unternehmenskommunikation
Krombacher Brauerei
Leiter Konzernkommunikation
ZF Friedrichshafen
Die größte Herausforderung?
Die Dekarbonisierung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Auf der anderen Seite befindet sich die Automobilindustrie inmitten der größten Transformation ihrer Geschichte. Geopolitische Spannungen, Inflation, Lieferkettenunsicherheiten, gepaart mit klaren Anforderungen unserer Kunden, erhöhen den Druck. Die elementare Frage verschiedener Stakeholder lautet daher: Können wir uns in dieser Gemengelage den strategischen Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit überhaupt leisten? Das beantwortet ZF mit einem eindeutigen Ja. Allen Stakeholdern gilt es nachvollziehbar aufzuzeigen, dass ZF für die Balance zwischen Klimaschutz, Beschäftigung und bezahlbarer Mobilität steht. Wir haben deshalb klar definierte Nachhaltigkeitsziele in unsere Konzernstrategie integriert und diese breit kommuniziert.
Was muss besser werden?
In der aktuellen Situation ist der wesentliche Hemmschuh der Ordnungsrahmen. Die Entscheidungen der Politik überregulieren in vielen Bereichen technische und wirtschaftliche Aspekte. Daher ist es wichtig, dass politische Entscheidungen auf Langfristigkeit ausgerichtet sind und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Klimaschutztechnologien eröffnen. Wir sehen es im Vergleich unserer internationalen Kunden in Indien oder den USA: Wenn wir die industriellen Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa nicht deutlich verbessern, verlieren wir auf Jahre hinaus den Anschluss. Unsere Branche braucht ein klares und konsistentes regulatorisches Umfeld, das Investitionen effizient zusammenführt und so den Weg in die CO2-Neutralität unterstützt. Innerhalb unserer Kommunikation wollen wir zeigen, dass wir verbindliche Ziele haben und dass wir diese mit wirkungsvollen Maßnahmen hinterlegen, um unseren Teil zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.
Aktuelle Leuchtturm-Projekte?
Wir haben uns nicht auf die Darstellung weniger Leuchtturm-Projekte beschränkt, sondern veranschaulichen eine große Bandbreite von Maßnahmen, die ganzheitlich auf unsere Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele einzahlen. Beispielsweise haben wir zur IAA einen Elektromotor vorgestellt, der bei gleicher Größe, gleichem Gewicht und gleicher Leistung ohne Magnete und damit ohne seltene Erden auskommt. Gleichzeitig bietet er mehr Unabhängigkeit für Kunden, und bei seiner Produktion wird bis zu 50 Prozent weniger CO2 emittiert im Vergleich zur Herstellung marktüblicher E-Motoren. Auch unsere Partnerschaft mit dem US-Mikrochiphersteller Wolfspeed haben wir über alle internen und externen Kommunikationskanäle hinweg sehr erfolgreich kommuniziert. Die 800-Volt-Technologie der Siliziumkarbid-Halbleiter, die ab 2027 im Saarland produziert werden, sorgt für mehr Effizienz in der E-Mobilität und damit für mehr Reichweite und kürzere Ladezeiten. Das Projekt leistet ferner einen wichtigen Beitrag zur herausfordernden Standorttransformation in Deutschland, denn es entstehen bis zu 600 neue Jobs.
Die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung für uns ist, dass die Menschen nur eine vage Vorstellung davon haben, welche Rolle wir als Versicherer im Kontext Nachhaltigkeit spielen. Natürlich setzen wir – wie viele andere Unternehmen – zahlreiche interne Maßnahmen um, um unseren eigenen CO2-Abdruck zu verringern.
Unsere größten Hebel liegen darüber hinaus jedoch nicht in Produkten, sondern in unseren Rollen als Versicherer und Investor. Als Versicherer haben wir weltweit Beschränkungen in der Zeichnung von klimaschädlichen Industrien umgesetzt, zum Beispiel in der Kohle- und Ölsand- sowie der Öl- und Gasindustrie. Als institutioneller Investor
schaffen wir durch die gezielte Finanzierung nachhaltiger Geschäftsmodelle aktive Anreize und leisten damit einen Beitrag zum Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft. Wir gehen mit den Unternehmen in den direkten Dialog und begleiten sie in ihrem Transformationsprozess. Der Einfluss dieser Aktivitäten ist sehr groß, aber auch komplex und damit schwieriger zu kommunizieren als beispielsweise ein Aufforstungs- oder Recycling-Projekt. Für eine glaubwürdige Kommunikation müssen wir uns dieser Herausforderung aber unbedingt stellen.
Aktuelle Leuchtturm-Projekte?
Anfang Dezember ist unsere AXA-Nachhaltigkeitskampagne „Auch ein guter Wille braucht ein bisschen Hilfe“ gestartet. Mit ihr kommunizieren wir erstmals unsere besondere Rolle als Enabler in Sachen Nachhaltigkeit verstärkt nach außen.
Leiterin Media Relations
AXA Deutschland
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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der prmagazin-Printausgabe Dezember 2023 | Januar 2024
