
Vor Kurzem löste ein LinkedIn-Beitrag von Christian Maertin, Leiter Corporate Communications der Bayer AG, unter Pressesprechern eine kleine, aber engagierte Debatte über die Rolle des Journalismus aus.
Maertins These: Speziell die öffentlich-rechtlichen TV-Politmagazine machen sich zum Steigbügelhalter der NGOs. Sie hätten schon vor der Recherche eine festgelegte Storyline und die NGO-Vertreter redaktionell fest im Boot, bevor bei der Industrie angefragt wird. Als Alibi reichten die Macher dann kurz vor Redaktionsschluss in der Presseabteilung einen Fragenkatalog ein, der jedoch in der Regel nur minimal oder gar nicht verwendet werde. Die redaktionellen Drehbücher seien, so analysiert der Bayer-Mann, „meilenweit von der Realität entfernt“: hier die Guten, die NGOs, Umweltschützer, Biobauern, Aktivisten – dort die gierigen und bösen Großkonzerne, die auf Teufel komm raus den Profit steigern wollen.
Maertins Schlussfolgerung ist, dass man sich überlegen müsse, diese Alibifragen gar nicht mehr zu beantworten oder nur mit wenigen Sätzen, mit denen Bayer gern zitiert werden will. Auch Interviews gebe man nur noch, wenn ein „ehrliches und wirklich aufrichtiges“ Interesse an der Bayer-Perspektive bestehe. Eine faire Berichterstattung, bei der Journalisten „alle Akteure gleich kritisch hinterfragen“, will Bayer mit einem offenen, intensiven und vertrauensvollen Dialog danken.

Mit dieser Kritik will Maertin als „leidenschaftlicher Anhänger von gutem kritischen, unabhängigen Journalismus“ helfen, das Problem mit der redaktionellen Ausgewogenheit anzugehen. Das eigentliche Problem könnte aber sein, dass die Pressearbeit der Bayer AG ihre Rolle verkennt. Pressesprecher, die bei blöder Berichterstattung Verschwörungstheorien entwickeln und die Kritik an Pflanzenschutzexporten auf eine Ebene mit dem zunehmend radikalen Diskurs in unserer Gesellschaft stellen, werden die negativen Schlagzeilen nie ändern.
Wenn, wie Maertin meint, die chemische Industrie in den Augen vieler Magazinjournalisten „gierig bis korrupt und nur auf den eigenen Vorteil um jeden Preis aus“ ist, gibt es nur zwei mögliche Schlussfolgerungen: Entweder stimmt das Bild und damit die Berichterstattung – oder das Bild stimmt nicht, womit die Pressearbeit und Kommunikation versagt hätten. Ein Indiz für Letzteres ist, dass der Bayer-Pressemann beklagt, immer erst kurz vor Ende der Recherchen gefragt zu werden. Die erfolgreichen Profis wissen, was in den Redaktionen diskutiert wird, lange bevor die Recherchen starten. Sie produzieren auch keine vorgefertigten Statements und wundern sich, wenn diese im Papierkorb landen.
Auch sind die negativen Schlagzeilen nicht nur in der Kritik an den Produkten zu finden: Welche finstere Macht vermutet Maertin wohl hinter dem Beitrag „Blick in den Abgrund“ in der Welt am Sonntag, in dem Arno Balzer und Klaus Boldt die Frage thematisieren, ob der „Traditionskonzern einen neuen Boss“ braucht?
Dieser Kommentar ist als Editorial in der Dezember-Ausgabe des prmagazins erschienen.