“Habe Geschichten auch schon platzen lassen”

Wirecard, Audi, DWS – Lisa Nienhaus, Chefin des Wirtschaftsressorts der Süddeutschen Zeitung, und ihre Kollegen berichten über alle großen Strafverfahren gegen Manager und Unternehmen. Aus Sicht der Journalistin haben in der Außenkommunikation dabei zunehmend Juristen das letzte Wort – und legen Medienvertretern Steine in den Weg.

Lisa Nienhaus: “Die vielleicht größte Herausforderung besteht darin, dass die Reporter vor Ort selbst nicht zu schnell über den Fall urteilen.”

prmagazin: Frau Nienhaus, der Wirtschaftskrimi um Wirecard setzt sich auch drei Jahre nach der Insolvenz des Unternehmens fort. Kürzlich ist ein Brief des flüchtigen Vorstands Jan Marsalek aufgetaucht. Sie haben darüber berichtet. Sind Ihre Leser an solchen Updates überhaupt noch interessiert?

Lisa Nienhaus: Ja, wenn so etwas Spektakuläres passiert, dann wollen alle das lesen. Aber auch die Berichte von einem eher gewöhnlichen Tag im Wirecard- Prozess interessieren immer noch sehr viel mehr Menschen, als wir anfangs vermutet hätten. Diesen speziellen Fall verfolgen viele schon deshalb, weil sie selbst als Aktionäre von der Pleite betroffen waren. Der Zuspruch auch im Digitalen ist noch immer groß. Aber natürlich machen wir das nicht wegen der Klicks, sondern wegen der Relevanz. Wir haben eine inhaltliche Motivation.

Die da wäre?

Das ist ein historischer Prozess. Wir sehen uns in der Pflicht, alle Geschehnisse dazu zu dokumentieren. Von den 54 Wirecard-Gerichtsterminen haben meine Kollegen nur ganz wenige ausgelassen, oft waren wir von der SZ die einzigen Berichterstatter vor Ort. Da ist es natürlich unsere Verantwortung, ganz genau mitzuschreiben und die Öffentlichkeit zu informieren.

Mitschreiben? Von Hand?

Genau, den Ton mitzuschneiden ist im Gerichtssaal bei Strafprozessen verboten, es muss alles handschriftlich festgehalten werden. Deshalb schicken wir nur Reporter ins Gericht, die sehr gut vorbereitet sind und genau wissen, worum es geht und worauf sie achten müssen. Auch wenn es mal langweilig wird in einem solchen Prozess, etwa wenn sich Zeugenbefragungen ewig ziehen: Man muss aufmerksam bleiben und ein Gespür mitbringen, um Schlüsselmomente zu erkennen – die dann auch die Leser interessieren.

Worin sehen Sie weitere Herausforderungen für Wirtschaftsjournalisten im Strafprozess?

Die vielleicht größte Herausforderung besteht darin, dass die Reporter vor Ort selbst nicht zu schnell über den Fall urteilen. Zumindest noch nicht nach drei Prozesstagen. Es ist unsere Aufgabe, alle Seiten anzuhören und für die Leser ein differenziertes, möglichst objektives Bild zu zeichnen. Im Fall Wirecard gibt es drei Angeklagte, darunter einen Kronzeugen, und zahlreiche weitere Zeugen, die sich gegenseitig belasten. Zwischenzeitlich schaltete sich der entflohene Jan Marsalek per Brief ein – hier muss man wirklich versuchen, jeder einzelnen Person gerecht zu werden.

Gleichzeitig werden Fälle und Urteile regelmäßig in den Medien kommentiert.

Das schließt sich nicht aus. Nehmen wir einen anderen großen Prozess, in dem gerade ein Urteil verkündet wurde: Der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler wurde im Juni zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Bei uns in der SZ-Redaktion gab es bei diesem Termin eine Aufteilung: einerseits Reporter, die vom Prozess berichtet haben, und zum anderen ein erfahrener Kollege, der den Deal, den Stadler mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft hatte, am Ende in einem sehr kritischen Kommentar eingeordnet hat. Diese Trennung gibt es nicht immer, aber hier hat sie sich angeboten.

Manager und Unternehmen vor Gericht fürchten sich vor dem Fallbeil der Wirtschaftspresse. Zu Recht?

Na ja, dass ein Manager in hoher Verantwortung am Ende in einem dürren Satz gesteht, der auch noch von seiner Verteidigerin vorgetragen wird, ist ihm nirgends gut ausgelegt worden. Er hat gestanden, weil es ihm nützt. Daran gibt es nichts zu loben.

Wie versuchen Unternehmen während eines Prozesses, einer kritischen Auslegung gegenzusteuern?

Die Reporter begegnen den Angeklagten und ihren Vertretern immer wieder, zum Beispiel auch auf den Gängen im Gerichtsgebäude. Vor allem die Anwälte versuchen dann, ihre Interpretationen des Geschehenen zu verkaufen. Gleichzeitig verstehen sie die Bedürfnisse der Journalisten manchmal nicht.

Und legen Ihnen stattdessen Steine in den Weg?

Das passiert […]


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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der prmagazin-Printausgabe August 2023.